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Sonntag, Juni 26, 2005

Gottes williger Vollstrecker

»Billy Grahams Kampagne war nur eine McCarthy Episode.« So lauten die abschließenden Worte des ersten Textes von Roland Barthes ›Mythen des Alltags‹. Der Text hat einen Auftritt Grahams im Velodrome d´Hiver zum Gegenstand. Barthes’ Buch erschien in Frankreich 1957 unter dem Titel ›Mythologies‹. Das sind immerhin 48 Jahre, die seit dem ins Land gezogen sind. Und dennoch erkennt man die Aktualität von Barthes Werk sofort. Woran?
Der US-Senator Joe McCarthy, auf den sich Barthes in dem Oben zitierten Satz bezieht starb noch im selben Jahr in dem die ›Mythen des Alltags‹ erschienen. Am 2. Mai. [Der Geschichte Über McCarthys Geschichte berichtet ausgiebig dieses Blog. Roland Barthes selbst erlag 1980 einer Krebserkrankung. Und spätestens zehn Jahre später fällt, mit dem Untergang des Sowjetreiches, auch Barthes theoretisches Fundament, der Marxismus, dem Lauf der Geschichte zum Opfer.
Aber Billy Graham, das Maschinengewehr Gottes, predigt noch immer. Satan ist wohl doch allgegenwärtig. Und angeblich erhalten die ›wiedergeborenen Christen‹ in jüngster Zeit einen Zustrom wie ewig nicht mehr. Gleichzeitig geht in den USA auch wieder der Geist McCarthys um. Und nicht nur in den Vereinigten Staaten. Der Geist findet willige Vollstrecker in Europa. Und die Amerikaner exportieren anscheinend fleißig. Gestern hat Italien anklage gegen 12 CIA Mitarbeiter erhoben, die Massenweise Kohle aus dem Antiterrorkampf in Luxushotels verballert haben sollen, illegale Verhaftungen vorgenommen, Menschen verschleppt. Und auch Deutschland steckt mitten drin im System des Terrors. Aus unseren Universitäten kommen nicht nur die Terroristen. Die andere Seite des Systems hat hier seit längerem (schon viel länger) Fuß gefasst. Die US-AirBase in Ramstein beherbergt die europäische Zentrale des CIA. Von hier aus werden die vom CIA in Europa verschleppten, angeblichen Feinden, in dritte Welt Staaten gefolgen, wo sie ungestört und ungeachtet jedweden, eventuell Vorhandenen internationalen Rechten fast beliebig lange festgehalten und gefoltert werden.
Ach ja, Billy Graham. Graham liefert so etwas wie die das theoretische Fundament für den Kampf gegen den Terror. Der in Wirklichkeit wohl als Kampf der Kulturen, der Anschauungen, der Religionen ausgetragen wird. Die Legende besagt übrigens das Graham es war, der Bush von seinem Suff geheilt hat und ihn auf den Pfad Gottes geführt. Ob das wahr ist, ist wahrscheinlich gar nicht so wichtig.
Billy Graham ist heute über achtzig und selbst Krebskrank. Die Maschine läuft trotzdem. Die Maschine macht Geld. Die Maschine verbreitet hirnlosen christlichen Fundamentalismus, der sich in allen seinen Formen ja auch in Europa wieder ausbreitet. Generation JP2 wäre nur eines der zu nennenden Stichwörter.
Barthes’ Konzept der Aufklärung scheint versagt zu haben. Oder hat Barthes Konzept der Mythendekonstruktion sich selbst, die Wissenschaft möglicherweise, entmythologisiert? Folgen wir deswegen jetzt wieder den alten Ideen. Folgen wir den Mythen weil wir es nicht anders können? Barthes hätte da vielleicht zugestimmt. »Der Mythos kann alles erreichen, alles korrumpieren, sogar die Bewegung, durch die sich ihm etwas entzieht, so daß, je mehr die Objektsprache ihm am Anfang Widerstand leistet, desto größer ihre schließliche Prostitution ist.«
Jede Sprache ist Missbrauch, jedes Wort missbraucht. Alles ist hoffnungslos. Gut würde alles nur wenn wir den Mund hielten. Das ist das einzige zu dem der Mensch nicht fähig ist. Ohne Sprache sind wir keine…
Billy Graham ist alt. Er verliert seine Stimme. Billy Graham wird sterben. Dann sind alle tot. Was bleibt? Wer sind wir? Während wir nicht wissen, was wir tun? Gottes willige Vollstrecker?