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Montag, Juli 18, 2005

Von Kinderterroristen überfallen

Heute bin ich doch tatsächlich im Freibad von bewaffneten Kinderterroristen überfallen worden. Ich hatte gerade meine Sachen alle zusammengepackt und hatte den Ausgang schon fast erreicht, als ich auf Höhe der Umkleidekabinen plötzlich einen kalten Stich im Rücken fühlte. Panik kroch von der getroffenen Stelle kühl die Wirbelsäule empor und verkrallte sich im Nacken. Keiner konnte meine aufgerissenen Augen sehen, die ich unter der spiegelnden Sonnenbrille verborgen hatte. Während ich mich umdrehte, um mich meinem Angreifer zu stellen, schlugen weitere Salven von Kälteschauern in mich ein. Da stand er. Oder besser, da standen sie. Vier oder fünf Kinder, ich weiß nicht genau wie viele, alles ging so schnell, Jungs und Mädchen, etwa acht- bis zehnjährig, kreischend und immer wieder wurde ich getroffen. Wahrscheinlich beobachteten zahlreiche Badegäste diesen Vorfall, ich weiß es nicht, ich spürte nur, dass sie mich immer wieder trafen, keiner Griff ein oder kam mir zur Hilfe und ich sah immer nur in die verzerrten kleinen Grimassen. Wo waren sie nur hergekommen? Hatten sie sich bei den Umkleidekabinen versteckt? Das war jetzt egal. Ich musste handeln.

Ich blieb stehen und wandte mich den Angreifern ganz zu. Wie sollte ich das überstehen? Wie sollte man sich gegen Kinder wehren. Ich spürte die prüfenden Blicke der Badegäste, wahrscheinlich überwiegend belustigt, niemand reagierte. Zisch, zisch zisch... die nächsten Treffer. Diesmal auch ein Streifschuss am Kopf. Flüssigkeit rann mir die Wange entlang, tropfte von meinem Kinn und hinterließ dunkle Flecken auf meinem Hemd. So musste wohl schon mein ganzer Rücken aussehen. Ich blickte wieder zu den Angreifern und machte zwei Schritte auf sie zu. Das bewirkte nur ein schnelles Zurückweichen unter grimmigem Kichern, wobei sie die Schussfrequenz erhöhten. Jetzt sah ich zum ersten Mal, womit die Scheusale bewaffnet waren: Kleine Delphine und Seelöwen, die wie Wasserpistolen funktionierten. Wo war ich da hineingeraten? Was sollte ich tun? Mein Hemd war mittlerweile schon von beiden Seiten nass und die winzigen Pistolen schienen überhaupt nicht zu versiegen. Ich merkte, dass ich mich auf jeden Fall zum Gespött der Leute machte, egal wie meine Reaktion auch ausfallen würde. Ich überlegte. Was hatte ich beim letzten Mal in dieser Situation gemacht? Beim letzten Mal war ich selbst nicht älter als die Angreifer gewesen – verprügeln hatte geholfen – aber das konnte ich mir heute wohl nicht mehr erlauben. Schließlich war ich bestimmt über zwanzig Jahre älter als die miesen Ratten.

Immer mehr Wasser floss. Nachdem ich erst wieder beigedreht hatte und weiterging, ohne weiter zu reagieren, weil ich dachte, das würde den Spaß verderben, was aber nicht der Fall war, wie ich mittlerweile triefend feststellen musste, bleib ich wieder stehen. Es musste etwas passieren. Wie sollte man sich um Gottes willen denn adäquat gegen solchen Kinderterror wehren? Ich musste an die Soldaten im nahen Osten denken, die ihr Zögern beim Kampf gegen schwerbewaffnete Kindersoldaten mit dem Leben bezahlen mussten. In der Schul-Oberstufe hatte ich noch diese Aura, dass sich kein jüngerer Schüler auch nur im entferntesten in meine Nähe gewagt hätte. Was war geschehen. Ich musste ein Exempel statuieren! Das war es. Ein Opfer und der Mythos, die Aura würde wieder entstehen und ich unantastbar.

Diesmal bewegte ich mich schneller, schlangenmäßig, zuckte auf den Kleinen zu, der sich während der ganzen Zeit am dichtesten an mich herangewagt hatte. Ein Mädchen wäre sowieso das falsche Opfer gewesen. Nein, ich musste den vermeintlichen Rädelsführer zu Fall bringen, ihn entwaffnen, seiner Macht berauben und alle anderen damit entmutigen. Er war auch schnell, zuckte zurück, aber nicht schnell genug. Ich hatte ihn und klemmte ihn unter einen meiner Arme, in der anderen hatte ich ja während der ganzen Zeit meine Tasche, und trug ihn unter Quieken in Richtung Ausgang. Seine Waffe hatten seine Mitstreiter schneller gerettet, als ich sie hatte nehmen können. Allerdings war an ein Versiegen des Wassers immer noch nicht zu denken. Scheinbar hatte ich mir den Falschen gegriffen, sogar die Mädchen schossen weiterhin mit Wahnsinn in den Augen auf mich. Nachdem ich den Zwerg fünf Meter weit unter meinem linken Arm getragen hatte, wimmerte er, dass ihm irgendetwas wehtäte, worauf ich ihn natürlich absetzte. Jetzt wurden die Schüsse auch weniger, ich hatte den Ausgang erreicht und die Terrorkinder rannten kreischend davon. Während ich mich draußen abtrocknete, freute ich mich darüber, dass in einigem Abstand hinter mir ein Mann kam, dem nun das gleiche Schicksal widerfuhr. Es hatte also nicht unbedingt mit der verlorenen Aura zu tun, sondern wahrscheinlich eher mit der zunehmenden Verwahrlosung und Kriminalisierung des Nachwuchses. Dennoch stieg ich mit einer befriedigenden Gewissheit in mein Auto ein, dass mir ein passendes zu statuierendes Exempel aus meiner Schulzeit wieder eingefallen war, mit dem ich mich beim nächsten Mal würde auf ewig behaupten können, ohne den kompletten Groll der überall nicht eingreifenden Eltern auf mich zu ziehen. Kopf über in die Kloschüssel und abziehen hatte noch immer abschreckend gewirkt.