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Mittwoch, Juli 06, 2005

Lustige Geschichte der Zensur über ein Stück Bückware

Da wir mit unserer Zeitschrift -BlendwerK- auch schon unter die Ladentheken des Buchhandels verbannt wurden und Zensur ebenso einen Teil meiner Studienabschlussarbeit tangiert, lege ich wahrscheinlich besonderes Augenmerk auf dieses Thema und stieß bei meinen Forschungen auf interessante Vorkommnisse in der Geschichte der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften.

[...] Es ist nicht das erste Mal, dass die Bundesprüfstelle ein groteskes Fehlurteil trifft. Auch in den achtziger und neunziger Jahren wurden eine Reihe von belletristischen Werken unter den Ladentisch verbannt, die andernorts auf der Auswahlliste für Literaturpreise stehen.
In einer Art blindem Beißreflex wurde etwa der Roman “Der stählerne Traum“ des amerikanischen Juden Norman Spinrad durch die Jugendschützer indiziert. Spinrad schildert darin eine Was-wäre-wenn-Geschichte, in der Adolf Hitler in den Zwanzigern in die USA auswandert und dort zum Schundautor für die kursierenden Sciencefiction- und Fantasy-Groschenhefte wird. In den USA als glänzende Satire auf den Blut-und-Boden-Kult der modischen Fantasy-Literatur gefeiert, blieb das Werk in Deutschland über Jahre zur Bückware degradiert. Begründung: Jugendliche Leserschichten könnten der Romanfiktion aufsitzen und Adolf Hitler tatsächlich für einen harmlosen Trivialautor halten, ja schlimmer noch, den satirisch gedachten Roman “Der stählerne Traum“ – angeblich von Hitlers eigener Hand – für bare Münze nehmen und sich an der darin karikierten Herrenmenschenmentalität berauschen. [...]*

*Auszug aus: „Im Garten der Ängste“ von Denis Scheck, in: Allgemeines Sonntagsblatt, Nr. 48, 26.11.1999, S. 28f.