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Mittwoch, Januar 26, 2005

In Deutschland gebrochen

Es ist also geschehen. Karlsruhe hat entschieden, dass der Bund den Ländern nicht vorschreiben darf, dass ein Erststudium gebührenfrei sein muss. Herzlichen Glückwunsch CDU. Und natürlich wird die SPD sich auch nicht lange davor drücken, eine weitere Einnahmequelle anzuzapfen.

Welchen Zweck hat denn als Student das ganze Protestieren, Demonstrieren und Streiken? Noch dazu, wenn ein Großteil der Studentenschaft die politisch-wirtschaftlichen Maßnahmen völlig in Ordnung findet oder sich davon nicht betroffen fühlt, weil sie ja bald mit dem Studium fertig sind. Schöne Mentalität. So funktioniert Gesellschaft. Einfach vom Jetzt und Mir aus nicht weiterdenken. Unglaublich, dass ich mir bei den letzten Streiks, an denen ich teilnahm, von Dozenten im Wirtschaftsrecht, die ihre Veranstaltungen, an denen ihre Studenten gerne teilnahmen, natürlich durchzogen anhören musste, wir müssten doch langsam mal von den USA lernen. Ich hatte ja schon Probleme damit, dass ich mich in meiner Jugend jahrelang vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten hatte blenden lassen. Aber dass ich mir so etwas nun von einem sogenannten „Gelehrten“ anhören musste, war doch echt das Letzte. O.k., lasst uns einfach mal ein bisschen Sozialdarwinismus spielen und schauen mal, wie lang der Weg in Deutschlands Zweiklassengesellschaft dauert. Genaugenommen ist sie ja schon lange da. Es ist nun mal so, dass viel Geld sich von selbst vermehrt. Und es ist nun mal so, dass wenig Geld von selbst immer weniger wird.

Lasst uns das Spiel spielen. Aber wenn dann richtig. Jeder mit den Mitteln, die er hat. Und jeder mit dem Engagement, das er hat. „Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen“, höre ich noch immer die Worte des Bundespräsidenten, ich glaube, dass es Roman Herzog war, in meinen Ohren. Ich denke der Ruck wird wohl erst ein Bruch und dann ein Rums sein müssen, bevor wirkliches Verständnis um Verhältnisse entsteht.

Aber uns geht es in Deutschland immer noch zu gut. Sowohl den Studenten, als auch allen Arbeitern und Arbeitslosen. Warum sollte sich ein Volk erheben, wenn es noch keinen Hunger hat und bei Bedarf noch alles Nötige bekommt. Streicht beruhigt alle weiteren Sozialhilfen, kürzt Arbeitslosenunterstützungen und fahrt weiterhin Nullrunden mit den Rentnern. Erhebt Studiengebühren erst für die Langzeitstudenten, um dann doch nach und nach auch für das Erststudium zu kassieren. Das ist ja fantastisch! Da entsteht ja ein ganz neuer Markt, um das Studium Minderbemittelter mit Krediten zu finanzieren! (Baden-Württembergs Wissenschaftsminister, Peter Frankenberg, in: Spiegel Nr. 4/24.1.05 S.152ff.)Und diese dann mit einem Schuldenberg ins „Leben“ zu „entlassen““. Und natürlich sind die geplanten 500,- bis 1.000,- Euro ja eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das sind ja gerade bei zwei Millionen Studenten 2 Mrd. Euro und das sind ja gerade einmal 10 Prozent der stattlichen Aufwendungen. Aber auch nur, wenn alle Länder mitziehen. Um einen nennenswerten Betrag zur Kostendeckung einzutreiben, müssten die Hochschulen von jedem ihrer Studenten alljährlich Tausende von Euros eintreiben (Spiegel Nr. 4/24.1.05 S.152ff.). Also bitte. Immer schön von den USA lernen, schön die Gebühren einführen und dann kräftig hochschrauben.

Ich hab nach meinen Streikerfahrungen echt keine Lust mehr über dieses müßige Thema zu diskutieren. Die Mitstreiter um sich herum wegbrechen zu sehen, während die Politik immer den längeren Atem und Hebel hat, macht erst wütend, dann niedergeschlagen und schließlich lethargisch. Wie kann man gegen schlechte Zustände kämpfen, wenn es einem noch zu gut geht. Idealismus ist meist der breiten Aussitzpolitik nicht gewachsen. Mich wundert es nicht, dass in Gebieten, um die es schlechter steht als um Deutschland, aus Idealismus und Wut irgendwann Fanatismus entsteht. Aber ich bitte Euch. Doch nicht in Deutschland. Uns geht es doch gut. Also immer schön weiterspielen.

KARLSRUHER URTEIL (SPIEGEL, 26.01.2005)
LIZENZ ZUM KASSIEREN (Spiegel, 24.01.2005)
"500 EURO EINE HAUSNUMMER" (Spiegel, 20.01.2005)

Mich würde tatsächlich einmal interessieren, wie viele Schüler heute noch studieren wollen, wenn Sie hören, dass sie für das komplette Studium mit allen Nebenkosten einen Kredit von ca. 25.000 Euro aufnehmen müssen. Was wäre den Eltern dann wohl im Falle der Entscheidung lieber? Ihre Kleinen weiterhin im Entschluss zu bekräftigen, dem Weg der studierenden Erleuchtung zu folgen und den Schuldenberg begrüßend in Kauf zu nehmen? Klar es gibt ja vielleicht bald neue Finanzierungsmodelle, bei denen der Student, im Falle der späteren, erfolgreichen Erwerbstätigkeit, mit 8 Prozent seines Monatslohns 10 Jahre lang seinen Studienkredit abbezahlt, wenn er denn jährlich über 25.000 Euro verdient. Vielleicht werden die sozial schwächeren Eltern ihren Kindern aber auch schon von klein auf die Möglichkeit eines Studiums vorenthalten, auf sie einwirken, dass es besser sei, einen vernünftigen Beruf zu erlernen und überhaupt sind Studenten doch sowieso nur unnützes, arbeitsscheues Pack!

Warum geht eigentlich kein Ruck durch deutsche Schulen? Warum sind noch keine Schüler auf den Straßen, um sich ihre Zukunft zu sichern? Sind den Schülern die Neuigkeiten, die sie bestimmt schon von ihren Lehrern erfahren haben egal? Was ist mit den Eltern? Sind die dafür, dass ihre Kinder bald Studiengebühren bezahlen? Ist mal wieder keiner informiert? Oder ist mal wieder allen alles egal? Lethargie? Schon klar! Alles andere wäre ja auch anstrengend. Neee... bleibt mal alle ruhig zu Hause. Mit den neuen Gebühren werden unsere Unis bestimmt richtig flott und mit den tollen Gebühren-Finanzierungsmodellen, diesem fantastischen neuen Wirtschaftszweig, entstehen bestimmt tolle neue Arbeitsplätze und unser Wirtschaftssystem wird angekurvelt.

WISSEN WIRD MEHR WERT (Die Welt, 30.01.2005)