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Freitag, September 02, 2005

Kleine Zensur-Geschichte von 1997*

„[...] ‚American Psycho’, das Buch, ist so einfach nicht zu kriegen. Es steht auf dem Index, die deutsche Ausgabe ist nur auf Bestellung zu bekommen, die englische darf zwar im Regal stehen, aber nicht jede Buchhandlung will das. Als ich es in einer Hamburger Buchhandlung besorgen will, werde ich zuerst prüfend von der Buchhändlerin gemustert. Sie erzählt mir unaufgefordert, was in dem Buch drinsteht: Ein Mann vergewaltigt Frauen und quält sie sadistisch zu Tode. Das Buch sei in der SM-Szene sehr beliebt und es sei vorgekommen, daß es als Vorlage für grausame Verbrechen benutzt worden sei. Bret Easton Ellis’ Buch sei nicht unkritisch zu lesen, sagt die Buchhändlerin und daß sie das Buch nicht jedem verkaufe. ‚Wenn Sie so wollen, ist das eine Art Zensur’, sagt sie mit diesem Wir-müssen-uns-nicht-alles-gefallen-lassen-Tonfall, als wolle sie ein größeres Unrecht durch ein kleineres lindern helfen. [...]“


*Roland Koberg, „Die einen und die anderen Erwartungen“, in: Berliner Zeitung, Nr. 215 (15. September 1997), S. 13.